
Mein Mann ist die bessere Mutter!
moreFAMILY / Porträt
Seit neun Jahren ist sie außerdem im Nebenjob Mutter. Seitdem erlebt sie viele Hochs und Tiefs, die diese Vereinbarkeit oder manchmal Unvereinbarkeit mit sich bringen. Ehrlich und ungeschönt erzählt Anna Clauß in ihrem Buch „Mein Mann ist die bessere Mutter“ von ihrem Familienalltag, sie beobachtet ihre eigene Situation und die der anderen, zieht Schlüsse, reflektiert und handelt. Warum sie sich für den Weg als vollzeitberufstätige Mutter entschieden hat und ob es doppeltes Glück oder doch eher Doppelbelastung ist, erzählt sie uns im großen Familienporträt-Interview.
Liebe Frau Clauß, Ihr Buch beginnt mit dem Satz: „Manchmal wäre ich gerne Vater.“ Glauben Sie, dass es Mütter oft schwieriger haben als Väter? Sie schreiben im Buch ja vom schlechten Gewissen, das einer Mutter bei der Geburt des ersten Kindes kostenlos mitgeliefert wird.
Väter, so scheint es mir häufig, haben weniger Selbstzweifel als wir Mütter. Stillen oder nicht stillen? Runter auf Teilzeit oder zurück in Vollzeit?
Egal, wie man sich entscheidet. Das schlechte Gewissen hätte die andere Möglichkeit besser gefunden. Mich zum Beispiel überfällt das schlechte Gewissen besonders gerne an der Supermarktkasse, wo ich beim Blick auf die Müsliriegelpackung auf dem Kassenband, deren Inhalt in die Pausenbrotdose unseres Sohnes wandern wird, häufig denke: Warum backe ich Müsliriegel nicht selbst? Mein Mann ist der bessere Koch in unserer Familie, aber er scheint sich diese Frage noch nicht gestellt zu haben. Den Druck, eine gute Mutter sein zu wollen oder zu müssen, kennen nur wir Frauen. Väter haben es in der Gesellschaft auch nicht immer leicht, keine Frage. Aber Väter fragen sich nicht ständig selbst: Bin ich ein guter Vater?
Männer werden auch von anderen nur sehr selten danach beurteilt, welche Höchstleistungen sie außerhalb ihres Jobs in der Familie vollbringen. Mein Mann musste schlucken, als ich ihn bat, das Buch „Mein Mann ist die bessere Mutter“ nennen zu dürfen. Er wollte auf gar keinen Fall als Hausmann rüberkommen und bat mich zu erwähnen, dass er Geschäftsführer einer App-Agentur ist. Es schien ihm fast peinlich zu sein, für seine Elternqualität gelobt zu werden. Das ist doch schade. Denn wenn es etwas gibt, das mir trotz Zeitdruck und schlechtem Gewissen hilft, Ruhe zu bewahren, dann ist es die Sicherheit zu wissen: Im Zweifel ist mein Mann die bessere Mutter.
Der Buchtitel sagt zwischen den Zeilen aus, dass es wohl Eigenschaften und Fähigkeiten gibt, die grundsätzlich Frauen, im Speziellen Müttern, zugeordnet sind. Ist es so, dass Mütter oft die fürsorglicheren und liebevolleren Elternteile sind?
Was jeder Frau – egal, ob sie Kinder hat oder nicht – von der Gesellschaft zugeschrieben wird und sie unter Beweis stellen muss: eine besondere Fähigkeit fürs Kümmern und Sorgen. Obwohl es wissenschaftlich nicht erst seit gestern erwiesen ist, dass Mütter, sieht man mal vom Stillen ab, nicht von Natur aus prädestinierter fürs Erziehen des Nachwuchses sind als Väter, hält sich diese Vorstellung hartnäckig in vielen Köpfen. Auch in meinem. Sonst würde ich mich nicht ständig fragen: Bin ich eine gute Mutter? Der Annahme, dass Mütter von Natur aus die liebevolleren und fürsorglicheren Elternteile sind, würde ich trotzdem stark widersprechen. Männer und Frauen, Väter und Mütter mögen biologisch grundverschieden sein. Aber die Liebe und die Bindung an den eigenen Nachwuchs sind in beiden Geschlechtern gleich angelegt.
Wir haben jetzt zwischen Frauen und Männern differenziert. Aber gibt es Ihrer Meinung nach auch Frauen, die mit mehr mütterlichem Instinkt ausgestattet sind als andere? Oder die mehr „Talent“ für das Muttersein haben?
Jeder Mensch hat unterschiedliche Talente. Sicher ist zum Beispiel die Fähigkeit zur Geduld, die man als Eltern von Kleinkindern haben muss, von Frau zu Frau unterschiedlich verteilt. So gesehen bricht vermutlich jede Frau mit einem anderen Rucksack auf die Abenteuerreise Mutterschaft auf. Aber egal, wie viel Talent oder auch finanzielle, körperliche oder mentale Polster man hat. Irgendwann, früher oder später, bringt einen der Nachwuchs an eine Grenze – und dann ist die Frage, wie man reagiert und welche Prioritäten man setzt. Ich zum Beispiel habe nur ein Kind, obwohl ich mir immer drei gewünscht habe. Aber man kann als Frau häufig nicht alles haben. Eine große Familie und einen herausfordernden Job. Das schaff en nur sehr wenige. Ich habe es nicht geschafft.
Wenn man das mit dem Muttersein ganz gut hinbekommt, stehen viele wie Sie dann noch vor der Herausforderung, Job und Kind zu koordinieren. Sie schreiben von einem Hamsterrad – zwischen Vollzeitbeschäftigung und Wunschkind. Denken Sie, dass Ihr Berufsleben Ihr Kind negativ beeinflusst? Wenn ja, steht es sich dann dafür?
Das ist eine gute Frage. Ich wette, mein Sohn wird später weder Autor noch Journalist. Er scheint sich ohnehin sehr an seinem Vater zu orientieren. Die Bindung der beiden ist sehr eng. Die ersten Schritte unseres Jungen erlebte mein Mann live im Wohnzimmer, während ich im Büro saß. Das tut schon manchmal weh. Ich bin traurig, dass ich so viele Meilensteine im Leben unseres Sohns verpasst habe. Aber ich bin auch stolz auf meinen Mann und froh, ihm vor fünfzehn Jahren einen Heiratsantrag gemacht zu haben: Er ist der lebende Beweis dafür, dass Mütter nicht von Natur aus prädestinierter fürs Sorgen sind als Väter.
Im Buch erzählen Sie oft von Ihrer Mutter, die Zeit für Sie und Ihre Schwester hatte, und allen Anschein nach haben Sie Ihre Kindheit sehr positiv in Erinnerung und profitieren als Erwachsene immer noch vom Dasein Ihrer Mutter. Ist man das seinem (Wunsch-)kind nicht schuldig?
Elternschaft ist ein großes Glück! Und jede Sekunde, die man mit seinem Kind oder seinen Kindern verbringt, ist wertvoll. Meine Mutter sagt immer, sie hat es nie bereut, zehn Jahre lang ihre Berufstätigkeit pausiert zu haben, um für mich und meine Schwester da sein zu können und zum Beispiel Müsliriegel zu backen, statt sie im Super-markt zu kaufen. Aber sie sagt auch: Hätte ich damals die Möglichkeit gehabt, arbeiten zu gehen – hätte es in den Achtzigerjahren zum Beispiel schon Elternzeit für Väter oder viel mehr Kitas gegeben –, wäre sie früher zurück in ihren Beruf als Lehrerin gekehrt. Mein Mann und ich teilen uns die anstrengende, aber eben auch beglückende Familien- und Sorgearbeit 50:50 auf. Wir versuchen, beide so viel Zeit wie möglich mit unserem Sohn zu verbringen und beide viel zu arbeiten.
Rauslesen kann man, dass der Haushalt eher das Spezialgebiet Ihres Mannes ist. Was erfüllt Sie mehr, Ihr Job als Politikredakteurin oder Ihre Mutterrolle?
Beides ist ähnlich zeitintensiv und ähnlich beglückend. Das Rollenbild, das mein Mann häufi g besser verkörpert als ich, ist das der patenten Sorgeperson, die der Familie die heile Welt herbeikocht, alles sauber hält und bei der kleinsten Schramme am Knie des Kindes schon halb auf dem Weg ins Krankenhaus ist. Er besucht auch freiwillig Elternabende und kennt die Müllabholungstermine über die Weihnachtszeit. Ich hingegen bestehe darauf, eine Putzfrau zu beschäftigen, damit ich am Wochenende nicht den Badspiegel putzen muss, sondern mit unserem Sohn basteln, spielen und malen kann. Ich liebe unsere gemeinsamen Monopolyrunden oder unsere Abenteuer auf dem Spielplatz. Aber ich brauche auch meinen Schreibtisch und Worte oder Aufgaben, die auch außerhalb meiner Familie etwas bewirken.
Im Buch ist ja die Rede davon, dass Sie Vollzeit als Politikredakteurin arbeiten und im Nebenjob Ehefrau und Mutter sind. Dazu folgendes fi ktives, drastisches Szenario: Stellen Sie sich vor, Sie wären morgen tot. Ihre Stelle wäre wahrscheinlich innerhalb weniger Wochen nachbesetzt, jemand anderer wartet vielleicht schon darauf, Ihren Schreibtischsessel im Münchner SPIEGEL-Büro zu übernehmen. In Ihrer Familie jedoch wären Sie unersetzbar, der Verlust würde für immer ein Loch reißen, das keine andere Frau jemals füllen kann. Was macht diese Vorstellung mit Ihnen? Ist es tatsächlich so, dass man Beruf und Familie gleichsetzen kann?
Natürlich hoffe ich, dass ich als Mutter unersetzlich bin. Als Politikredakteurin bin ich defi nitiv austauschbar! Trotzdem glaube ich, dass in meinem Fall berufl iches Glück und familiärer Segen eng zusammenhängen. Ich kann ja nur dann eine liebende Mutter sein, wenn ich selbst glücklich bin. Und viel Zufriedenheit und auch innere Stärke ziehe ich aus meinem abwechslungsreichen Alltag als Journalistin. Ich weiß nicht, ob es meinen Sohn oder meinen Mann nicht auch sehr unter Druck setzen würde, wenn sie meine alleinige Lebensaufgabe oder mein Lebensinhalt wären. Aber klar, müsste ich mich entscheiden, würde ich mich immer für die Familie entscheiden. Es ist letztlich ein großes Privileg und auch Glück, dass alle gesund sind und dass meine Zeit für ein Kind und einen Beruf gerade so ausreicht.
Was möchten Sie Paaren und (berufstätigen) Eltern noch mit auf den Weg geben?
Nicht nur jede Mutter hat eine Superkraft, ohne die der Rest der Familie verhungert, verdurstet oder zumindest schlecht schläft. Auch viele Väter verfügen über diese Spezialkräfte. Ich kann Paaren und Eltern nur raten, sich nicht festlegen zu lassen auf stereotype Rollen. Mütter, geht arbeiten, wenn ihr wollt. Väter, bleibt so viel wie möglich zu Hause!

